Die Anfrage des Nikolai Burlakoff hat uns veranlasst, auf das DP-Lager in Kirdorf näher einzugehen. Leider können wir zu diesem Thema - von einigen persönlichen Erinnerungen abgesehen - bisher nicht auf eigene Quellen zurückgreifen, sondern müssen mit den wenigen Quellen Vorlieb nehmen, die wir im Rahmen dieser Forschung bisher gefunden haben. Demzufolge lassen sich folgende Informationen zusammentragen:

Während des II. Weltkrieges lebten und arbeiteten viele Kriegsgefangene, Verschleppte und Zivilisten teils freiwillig teils unter Zwang im Deutschen Reich. Vorwiegend handelte es sich dabei um Männer und Frauen aus Sowjetrußland und der Ukraine, die als Fremdarbeiter, Zwangsarbeiter oder Ostarbeiter vorwiegend in Rüstungsbetrieben, in der Landwirtschaft, dem Bergbau, dem Verkehrswesen und im Baugewerbe eingesetzt wurden.

Nach dem Einrücken der Alliierten änderte sich der Status dieser Personen grundlegend, wobei seitdem auch noch KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene und internationale Freiwillige der Deutschen Wehrmacht dieser Personengruppe zugerechnet werden mussten, die in den westlichen Besatzungszonen unter dem Begriff "Displaced Persons", abgekürzt DP‘s, zusammen­gefasst wurden. Der Begriff bedeutet ins Deutsche übersetzt soviel wie "verschleppte Personen".

In den drei Westzonen befanden sich nach Kriegsende insgesamt rd. 6,6 Millionen DP’s, von denen die meisten in ihre Heimat zurück wollten. Von den anfangs rd. 100.000 DP’s in hessischen Lagern lebenden DP’s warteten am 1. Oktober 1948 immer noch 82.500 auf eine Lösung ihres Problems. Wie viele DP’s während des Krieges in Bad Homburg lebten, ist nicht bekannt. Bekannt ist nur, dass am 1. April 1943 im Kreis Maintaunus-Obertaunus der Gauverwaltung Hessen-Nassau der Deutschen Arbeiterfront 39 verschiedene Lager mit mehr als 2.300 ausländischen Arbeitskräften existierten, darunter 61 russische und 56 französiche Kriegsgefangene. Die übrigen, zu denen 480 Frauen zählten, hatten Arbeitsverträge verschiedenster Qualität; häufig Zwangsverträge.

Die bereits 1943 gegründete und bei Kriegsende von den Vereinten Nationen übernommene Hilfsorganisation UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration) richtete Sammellager ein und sorgte für Lebensmittel, Kleidung und medizinische Betreuung. Nach Auflösung der UNRRA im September 1947 übernahm die internationale Flüchtlingsorganisation IRO (Internation Relief Organisation) ihre Aufgaben, bis das Programm im Jahre 1952 abgeschlossen war.

Zunächst verstand man unter DP's Zivilisten, die sich aus Kriegsgründen außerhalb ihres Heimatlandes befanden und heimkehren wollten. Später, seit etwa Mitte 1947, bezog sich dieser Begriff dann auf Menschen, die als Zwangsarbeiter oder aus rassischen, religiösen oder politischen Gründen ihr Land hatten verlassen müssen. Bis dahin waren rd. 6 Millionen DP’s in ihre Heimat zurückgekehrt oder in die USA, nach Kanada, Australien, Israel oder in europäische Länder ausgewandert. Die Verbleibenden in den drei Westzonen erhielten nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1951 das Aufenthaltsrecht und die Bezeichnung „heimatloser Ausländer“. Den DP’s war der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft zwar möglich, aber meist zu teuer. Daher trug ihr IRO-Paß den Vermerk „Staatsbürgerschaft ungeklärt“.

Auf der im Januar 1945 durchgeführten Konferenz von Jalta wurde die geschlossene Rückführung aller aus Rußland stammenden Personen beschlossen.  Bei Kriegsende, im Mai 1945, befanden sich rd. 2,8 Millionen Sowjetrussen, Zivilisten und Kriegsgefangene innerhalb der deutschen Grenzen, die von diesem Beschluss erfasst wurden. Die ehemaligen Ostarbeiter, die in Lagern der Westzone lebten, kehrten rasch in ihre Heimat zurück. Andere DP’s, unter ihnen insbesondere frühere Kriegsgefangene, vor allem aber Angehörige der „Fremden Heere Ost“ oder die „Hilfswilligen“ (Angehörige technischer Dienste während des Krieges), versuchten, als DP’s in Deutschland zu bleiben, was nur wenigen wirklich gelang. Es gibt Berichte, nach denen Transporte der zurückgeführten DP’s aus Rußland, auch wenn sie zwangsweise ins Deutsche Reich als Arbeiter verschleppt wurden, direkt nach Sibirien weitergeleitet wurden. Wie viele von ihnen wegen Zusammenarbeit mit den Deutschen ihr Leben lassen mussten, ist nicht bekannt. Aber unter den zahlreichen Russen und Ukrainern muss schnell bekannt gewesen sein, dass ihnen als Rückkehrer in die Sowjetunion ein Los bevorstand, das schlimmer sein konnte, als das, was sie in Deutschland erfahren hatten. So entschlossen sich viele, auf die Heimreise zu verzichten, um entweder in Deutschland zu bleiben oder in andere, nichtkommunistische Länder auszuwandern.

Die Ostarbeiter, die während des Krieges in Bad Homburg arbeiteten, verschwanden genauso unbemerkt, wie sie hier gelebt hatten. In der Stadt waren 230 Wohnungen kriegsbedingt zerstört und nach Kriegsende weitere 365 Wohnungen von den US Besatzern beschlagnahmt. Trotz des um insgesamt 595 Einheiten verringerten Wohnungsangebots erhöhte sich die Bevölkerungszahl insbesondere durch Flüchtlinge und ausgebombten Familien von 22.600 in 1945 um 4.100 Menschen bzw. über 18 % auf 26.700 am 29.10.1946.  Dem Engpaß an Wohnraum begegnete man mit Zwangsmaßnahmen wie Wohnraumbewirtschaftung und durch den Bau von Behelfsheime.

Auch in Kirdorf entstand nach Kriegsende ein Lager, in dem DP‘s eine vorübergehende Heimat fanden. Im Herbst 1947 wurde am Stadtrand von Bad Homburg in der Nähe des Waldfriedhofs, zwischen der damals noch unbebauten Heinrich-von-Kleist-Straße und der Friedberger Straße ein Areal von der Stadt Bad Homburg gepachtet, eingezäunt und darauf fünf Baracken errichtet. Die Baracken waren für Russen bestimmt, die sich nicht zur Rückkehr in die Heimat meldeten. Ein Teil der Flüchtlinge hatte vorher in UNRRA-Lagern in München, in Möchhof bei Kassel oder in Hamburg gelebt. Sie suchten einen Ort, wo sie in Zukunft die Kultur ihrer Heimat er­halten und weitergeben konnten. Der Kontakt mit Magistratsbeamten Bad Homburgs führte sie nach Kirdorf. Außer dem Gelände konnte die Stadt zwar nicht viel beitragen, doch ein wesentlicher Grundstein war gelegt. Gründer und Organisator der kleinen DP-Siedlung war Dr. Alexander Truschnowitsch.

         


Bei der Räumung eines UNRRA-Lagers in Hanau standen etwa 20 zerlegte hölzerne Baracken zur Verfügung, von denen fünf nach Kirdorf transportiert und im Laufe des Herbstes 1947 gemeinsam zusammengebaut wurden. In 3 ½ dieser Wohnbaracken lebten 30 bis 34 Menschen; 2 bis 3 Familien in einem Haus. Jede Baracke war ca. 5 Meter breit und in verschiedene Räume unterteilt. Die primitive Toilette befand sich am Rande des kleinen Lagers. Eine vom ameri­kanischen CVJM (Christlichen Verein junger Männer) eingerichtete Baracke diente als Klub- und Versammlungsraum. Außerdem brauchte man Platz für  eine kleine "Kunst- und Gewerbeschule". Dies war keine Schule im üblichen Sinn, sondern eher ein Atelier. Es gab auch nur wenige Schüler. Die Lehrer waren die Künstler, die typische russische Ikonen- und Lackmalereien selbst ausführten und weitergaben. Der bedeutendste Künstler war der Architekt und Kunstmaler Georg Kiwerow, der sich später an einem Wettbewerb beteiligte und als 1. Preisträger die äthiopische Universität in Addis Abeba baute.

 



 
Ein in der Stadtverordnetenversammlung vom 8. Mai 1947 behandelter Plan, 17 städtische Grundstücke in der Kleiststraße zur Errichtung eines russischen Gymnasiums in Backsteinform zur Verfügung zu stellen, wurde nicht realisiert.

Nach der Währungsreform 1948 verbesserte sich die wirtschaftliche Lage in der Bundesrepublik Deutschland, was auch zu einer Normalisierung des Lebens führte. Eine Familie nach der anderen konnte in eine „richtige“ Wohnung umziehen, so daß im Jahre 1952 die Auflösung des Lagers in Kirdorf erfolgen konnte. Zwei der abgebauten Baracken fanden in Frankfurt-Eschersheim eine neue Verwendung. Mit ihnen konnte die seit rd. 1950 bestehende Russische Kirche in der Häberlinstraße vergrößert werden.

Das Gelände, auf dem das kleine DP-Lager in Kirdorf stand, wurde später bebaut. Heute erinnert nichts mehr an dieses Lager, daß doch vielen Menschen den schweren Start in ein neues Leben erleichterte.

Eine andere Gruppe von acht Russen lebte bis 1960 auf dem Gelände der alten Teigwarenfabrik Louisenstraße 76. Sie richtete eine Forschungsstelle für die Sowjetunion und eine Spezialdruckerei für Schriften in russischer Sprache ein. Insgesamt bildete sich in Bad Homburg eine russisch-orthodoxe Gemeinde, die zusammen mit der Stadt die Russische Kapelle an der Kaiser- Friedrich-Promenade instand setzte, um dort Gottesdienste abhalten zu können".

Nur ein paar wenige Episoden sind auch noch durch Zeitzeugen überliefert. 

Die Kirdorfer Bevölkerung hatten wenig oder gar keinen Kontakt zu den im DP-Lager lebenden Personen. Ihnen war auch nicht bekannt, welche Gründe ausschlaggebend dafür waren, daß diese Menschen hier in der Fremde lebten. Es waren wohl die Nachwirkungen der Nazi-Propaganda, wo man Ostarbeiter als „Untermenschen“ und „slawische Bestien“ diffamierte, die stets eine große Distanz darstellten. Die Kirdorfer Kinder wurden angewiesen, sich vom Lager entfernt zu halten.  Allgemein war man in Kirdorf der Ansicht, dass die Bewohner keine Kommunisten waren. Trotzdem wurden die Lager-Bewohner als Fremde angesehen und der Umgang mit ihnen im allgemeinen vermieden.  Die im Lager lebenden Kinder besuchten nicht die Kirdorfer Schule.

Bei dem Sommerfest anläßlich des 10jährigen Jubiläums der Siedlergemeinschaft am Rotkreuzweg  im Sommer 1948 wurde ein Tanzpodium aufgebaut, dessen Teile vom DP-Lager zur Verfügung gestellt wurden.

Einigen Kirdorfern ist noch ein weißhaariger älterer russischer Mann in guter Erinnerung, der beneidenswert gut Schlittschuh laufen konnte. Dieser Bewohner des DP-Lagers war auch stets der erste beim abholen von Brennholz im Hardtwald.

Recht gute Erinnerungen hat noch Valentin Gerecht, der nach dem Ende seiner französischen Kriegsgefangenschaft als Briefträger in der Friedberger Straße tätig war. So kam er auch täglich in das "Russenlager", dessen Leiter der weißrussische Arzt Dr. Truschnowitsch war. Valentin Gerecht mußte dort täglich eine Tasse Tee trinken und dazu Weißbrot essen. Eine Ablehnung wäre eine Beleidigung gewesen. Der Lagerleiter hatte eine Tochter, die in München als Dolmetscherin arbeitete. Dr. Truchnowitsch behandelte auch auf Wunsch Kranke in der Friedberger Strasse. Als Bezahlung bekam er Lebensmittel. Neben dem Lagerleiter bekamen auch andere Lagerbewohner Post, deren Empfang sie teilweise mittels Unterschrift bestätigen mußten. Da die anderen Bewohner nicht anzutreffen waren, ging Valentin Gerecht auf dem Rückweg zum Postamt an der Arbeitsstelle der Empfänger vorbei. Es war ein großes Fabrikgebäude auf dem Tappert´schen Gelände, das zur Louisenstraße 76 gehörte, dessen Zugang man nur über die Kaiser-Friedrich-Promenade erreichen konnte. Dort war im 1. Stock eine Großdruckerei. Die Russen arbeiteten dort an den Druckmaschinen. Später zogen alle Lagerbewohner nach Dietz an der Lahn, wo sie ebenfalls in einer Druckerei arbeiteten.


 

Zu den zitierten persönlichen Erinnerungen zählt, dass es trotz der allgemeinen Zurückhaltung der Kirdorfer Bevölkerung freundschaftliche Beziehungen zwischen besagtem Dr. Truschnowitsch und den Nachbarn des Lagers in der Friedberger Straße gab. So befindet sich zum Beispiel im Besitz von Heinrich Göbel, der damals in der Friedberger Straße 65 wohnte, ein kleines persönliches Geschenk von besagtem Dr. Truschnowitsch: Eine kleine handbemalte hölzerne Schmuckdose, die eine seltene Erinnerung an die Tätigkeit der Kunst- und Gewerbeschule darstellt.

Ferdi Ernst und Stefan Ohmeis
im April 2004 

 

Verwendete Quellen:

1) „Russen und Homburg: Kontakte über 250 Jahre“; Begleitschrift zur Ausstellung vom 19.11.1989 bis 1.4.1990; herausgegeben vom Museum im Gotischen Haus, Tannenwaldweg 102, Bad Homburg vor der Höhe; insbesondere Seiten 37 ff.

2) Dr. Heinz Grosche: "Geschichte der Stadt Bad Homburg“, Band IV; Seite 590; 1993, Verlag Waldemar Kramer

3) Gerta Walsh: „Ostarbeiter galten als Untermenschen“, Januar 1990, Taunuszeitung

4) „Das Lager „Solidarsk“ am Waldfriedhof“, Taunuszeitung vom 27.1.1990

5) Valentin Gerecht, April 2004, "Aussagen über das Russenlager in der Friedberger Str./Ecke Heinrich-von-Kleist-Str."


 

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