Abendfeier am Niobefelsen
im Hardtwalde, bei Homburg
Sommer 1816
Hier am Felsen, wie die Schöpfung alt,
Wo Jahrtausende vorbeigewallt,
Zeichn`ich in´s geäderte Gestein
Meinen Ephemeren-Namen ein.
O wozu? - Wird je ein Wesen
Dieser Oede nah´n und Namen lesen?
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Bild es Todes, wie so trauernd ragt,
Fels, dein Haupt empor! Nur selten wagt
Sich ein Vogel aus dem Niederwald
Bis zu deinem ernsten Aufenthalt.
Doch um deinen Fuß gedeihen Mooose,
Blüht der Quendel und die Alpenrose.
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Ew`ge Bildnerin, o Urnatur!
Leben schaffst du hier, wie auf der Flur,
Webest mir in diese Wüstenei
Eine Lagerstätt von Stickerei,
Wo des Sommers bunte Kinder prangen,
Und an jedem Kelchlein Gäste hangen.
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Wunder, wie hier um den todten Stein
Tausend Wesen sich des Daseins freun!
Wie die Biene schwirrt im Haidekraut,
Flecht`und Steinmoos Himmelsthau bethaut;
Wie der Heerde, die im Thale springet,
Frohes Blöcken zu dem Felssitz dringet!
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Horch, die Mäher jauchen laut im Thal,
Grüne Schlegel schichtend ohne Zahl!
Meilen überfliegt mein trunkner Blick,
Kehrt begeistrungschwer zum Fels zurück.
Des Gemüthes Lyra ist besaitet,
Und der Töne süße Folge gleitet.
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Dir, allmächt`ger, unbekannter Geist,
Der die Millionen leben heißt,
Der auch mir den Pilgerlauf zum Grab,
Daß ich dich erkenn`und liebe, gab,
Dir lobsingt des kleinsten Käfers Summen;
Doch der Mensch, der Denker muß verstummen!
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Ihm geziemt, im Staube tief gebeugt,
Von Entzückungsdrang das Auge feucht,
Anzubeten deine Herrlichkeit,
Stumm zu danken, daß - o Seligkeit! -
Du auf deines Geisterreichs Stufen
Ihn zu Licht und Liebe hast berufen!
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Johann Georg Hamel
Hessen-Homburgische Reim-Chronik 1860, Seite 173 und 174
Anm.: Es handelt sich um den Rabenstein an der Höllsteinstraße, in den Landgraf Gustav seine Initialen hat einhauen lassen.